Die Versicherungsbranche im Wandel
Umgeben von immer mehr Digitalversicherern, inmitten der eigenen digitalen Transformation steckend und geprägt von Retail-Riesen wie Amazon, während traditionelle Prozesse weiterhin das daily business prägen: Das Spannungsfeld, in dem sich die Versicherungsbranche bewegt, war selten so herausfordernd wie heute. Gleichzeitig bietet es auch enorme Chancen. Wir diskutieren drei wesentliche Challenges, denen sich Versicherer aktuell gegenübersehen, und wie sie diesen begegnen können.
Von analog über digital zu hybrid: Schlüsselfaktor Vertrauensaufbau
Die schnelle Digitalisierung von Prozessen heißt nicht, dass die digitalen Möglichkeiten auch von allen Seiten geschätzt werden. „Vor der Corona-Pandemie wurden viele Geschäftsabschlüsse im persönlichen Kontakt über den Außendienstmitarbeiter abgewickelt“, sagt Dr. Patrick Meyer, Projektmanager bei großen Versicherungskunden von elaboratum. „Mit Beginn der Pandemie waren die Versicherer jedoch gezwungen, ihr Angebot an digitalen Kontaktmöglichkeiten noch schneller auszubauen. Auch bei Vertriebspartnern haben die Entwicklungen der letzten zwei Jahre zu einem Digitalschub im Kundenkontakt geführt.“ Trotzdem bestehen auch nach den Corona-Lockdowns gewisse Akzeptanzbarrieren bei Vertriebspartnern. Sie befürchten, dass Versicherer ihre Kundenstämme über die digitalen Kanäle direkt ansprechen und sie obsolet machen.
Versicherer befinden sich inmitten der eigenen digitalen Transformation hin zum hybriden Versicherer, der sowohl analog als auch digital Interessenten und Kunden begeistern kann. Kunden erwarten von ihrem Versicherer identisch hohe Service-Level auf allen Kanälen, ganz gleich, ob analog oder digital. Diese Erwartungshaltung ist geprägt von Retail-Riesen wie Amazon, aber auch von Digitalversicherern, die schlanke und schnelle digitale Prozesse zur Benchmark für alle Versicherer machen. Doch wie können etablierte Vollversicherer auf diese Marktentwicklungen reagieren?
„Erfolgsentscheidend ist, dass sich Vollversicherer ihrer Stärken bewusst werden“, sagt Henrik Larisch, bei elaboratum Experte für digitale Versicherungskundenportale. „Im Gegensatz zu den Pure Playern bieten sie ein breites Spektrum von Versicherungen an und besitzen eine Vielzahl an Touchpoints. Und ganz wichtig: Sie verfügen über exzellente individuelle Beratungsexpertise und die Partner vor Ort. Im Schadensfall funktioniert selten das Schema F, indem man einfach ein Online-Formular ausfüllt. Da braucht es persönliche Beratung, auch wenn sie dem Kunden nur die Sicherheit gibt, nichts falsch zu machen.“
Damit das funktioniert, müssen Versicherer aktiv das Vertrauen zu ihren Vertriebspartnern und ihren Bestandskunden aufbauen: „Versicherer sollten eng mit ihren Vertriebspartnern an hybriden Sales- und Service-Journeys arbeiten. So können Interessen von Endkunden, Versicherern und Ausschließlichkeitsorganisation bestmöglich vereint werden“, sagt Dr. Patrick Meyer. Um die Vertrauensbasis der Bestandskunden zu festigen, müssen Versicherer zudem im „Moment of Truth“ – also bei Schadensfällen – beweisen, dass sich ihre Kunden auf eine schnelle, einfache und digitale Abwicklung mit hoher Kulanz verlassen können.
Wie genau es Versicherern gelingt, Vertrauen systematisch aufzubauen, erfahren Sie von Dr. Eric Eller, Senior Managing Consultant bei elaboratum GmbH, am 15. September auf dem InsureFin Digital-Day in Zürich.
Die Entwicklung einer hybriden Customer Journey
Kunden schätzen Flexibilität: Es gilt, eine Auswahl an Kontaktmöglichkeiten anzubieten, um den Kunden immer dort abzuholen, wo er sich befindet. Hybride Customer Journeys werden bei Versicherern auch schon gelebt – mal mehr, mal weniger.
„Kunden lernen von anderen Branchen, dass die Verzahnung von analogen und digitalen Lösungen gut funktionieren kann“, so Patrick Meyer. „Dieselben Anforderungen stellen sie auch an Vollversicherer. Unternehmen müssen ihren Kunden ein konsistentes und ansprechendes Erlebnis über alle Kanäle hinweg bieten, damit an keinem Touchpoint Kunden verloren gehen.“
Im Sales-Bereich funktioniert die hybride Customer Journey bereits sehr gut. Beispielsweise sind Online-Tarifrechner auf den meisten Websites der Versicherer eingebunden und auch der Vertriebspartner erhält automatisch eine Provision, wenn der Abschluss über seine digitale Präsenz erfolgt. Optimierungsbedarf besteht hingegen noch im Service-Bereich.
„Wenn Kunden zum Beispiel einen Schadensfall regulieren möchten, können sie zwar Dokumente digital hochladen. Wenn sie aber wissen möchten, wie lange die Regulierung benötigt, ist meistens doch der Griff zum Telefon notwendig. Wenn Kunden dann noch am Hörer von einem Mitarbeiter zum anderen weitergeleitet werden, ist die Frustration schnell groß“, erklärt Henrik Larisch.
(Noch) schlafende Retail-Riesen
Eine der größten Herausforderungen für Versicherer zeigt sich, wenn das erweiterte Ökosystem betrachtet wird. Retail-Riesen wie Amazon verfügen über eine Vielzahl an Kundenkontakten, wodurch sie sehr viel Wissen über ihre Nutzer sammeln können. Schon heute wird Kunden eine Geräteversicherung angeboten, wenn sie beispielsweise ein neues Handy kaufen. Was bedeutet es für Vollversicherer, wenn Amazon noch deutlich tiefer in das Versicherungsgeschäft einsteigen sollte?
„Die Rolle des Erstversicherers könnte sich grundlegend wandeln“, sagt Dr. Patrick Meyer. „Aktuell investieren Versicherer viel Budget in die eigene Markenbildung. Wenn Amazon umfassende Versicherungslösungen im Endkundenbereich anbieten sollte, kann es sein, dass der Erstversicherer, der dahintersteht, den Kunden gar nicht mehr interessiert, weil er direkt mit Amazon interagiert.“
Noch handelt es sich dabei um hypothetische Szenarien. Vollversicherer sollten sich aber schon jetzt mit der Frage auseinandersetzen, wie sie sich aufstellen, wenn aus der Hypothese Wirklichkeit werden sollte. „‘Kooperieren oder nicht‘ wird die wichtigste Frage sein, die sich Versicherer stellen müssen“, meint Henrik Larisch. „Bei einer Kooperation gewinnen die Versicherer, die über möglichst flexible Systeme verfügen, damit sich Kooperationspartner schnell und effizient anbinden können.“
InsureFin Digital-Days 2022
Zu diesen und anderen spannenden Themen treffen sich Entscheider:innen der FDL-Branche auch in 2022 im Rahmen der InsureFin Digital-Days. In Zürich (15.09.2022) und Frankfurt am Main (29.09.2022) tauschen sie sich in gemütlicher Atmosphäre über aktuelle Branchenthemen aus und nutzen die Zeit für ein anschließendes Networking.
- Was haben Fintechs, was viele traditionelle Finanzdienstleister nicht haben?
- Wie kann Nachhaltigkeit radikal vom Kunden her gedacht werden?
- Wo liegen die Besonderheiten beim Female Investing?
- Und wie gelingt der systematische Aufbau von Vertrauen für Banken und Versicherungen?
Das sind nur einige spannende Fragen, mit denen sich die Expert*innen von elaboratum gemeinsam mit Vertretern der Finanz- und Versicherungsbranche auf den InsureFin Digital-Days im September 2022 auseinandersetzen werden.